Neue Vertikal-GVO - Erste Bewertung durch den ZDK

Am 11. Mai 2022 veröffentlichte die EU-Kommission die neue Vertikal-Gruppen-freistellungsverordnung nebst ergänzenden neuen Vertikal-Leitlinien.

Antje Woltermann, Geschäftsführerin Abteilung Betriebs-, Volkswirtschaft & Fabrikate beim ZDK, hat nun eine erste Einschätzung abgegeben und einen vorläufigen Überblick über wesentliche Aspekte der neuen Vertikal-GVO und der Leitlinien erstellt, die für den Automobilhandel von Bedeutung sind.

  1. Geltungsdauer
    Die Verordnung tritt am 1. Juni 2022 in Kraft und gilt bis zum 31. Mai 2034.
     
  2. Übergangszeitraum
    Für geltende Vereinbarungen gilt ein Übergangszeitraum bis zum 31. Mai 2023. Diese Regelung dürfte für die geltenden Händlerverträge zutreffen, so dass die neue Vertikal-GVO nebst Leitlinien zusammen mit der neuen (bzw. verlängerten) Kfz-GVO und den dazugehörigen Leitlinien am 1. Juni 2023 ihre Wirkung entfalten wird.
     
  3. Zweigleisiger Vertrieb
    Die bisher geltenden Regelungen zum zweigleisigen Vertrieb, bei denen der Hersteller/Importeur auf der Einzelhandelsebene als Wettbewerber zu seinen Vertragshändlern auftritt, sind verschärft worden. Die EU-Kommission hat – glücklicherweise – davon abgesehen, eine neue Marktanteilsschwelle einzuziehen. Sie hat aber in Artikel 2 Absatz 5 der neuen Vertikal-GVO eine zusätzliche Regelung zum Informationsaustausch formuliert.

    Es lässt sich feststellen, dass diejenigen Hersteller/Importeure, die auch direkt vertreiben, künftig nicht (mehr) sämtliche Kundeninformationen von ihren Händlern verlangen können. Eine entsprechende Prüfung wird aber in jedem Fabrikat vorgenommen werden müssen. Welche Informationen ausgetauscht werden dürfen und welche nicht, erläutert die EU-Kommission anhand einer nicht abschließenden Liste. Ausgetauscht werden dürfen danach Informationen, die der Verbesserung der Produktion oder der Verbesserung der Distribution dienen, nicht aber solche kundenspezifischen Informationen, die dem jeweiligen Hersteller/Importeur als Wettbewerber seiner Händler einen Wettbewerbsvorteil verschaffen würden. Sofern gegen diese Regelung verstoßen wird, entfällt der Vorteil der Freistellung.

    Dieses Thema war ein Schwerpunkt der Lobbyarbeit der Europäischen Handelsallianz AECDR und des ZDK. Das jetzt vorliegende Ergebnis ist aus Sicht des ZDK ein Erfolg.  Die Fabrikatsverbände müssen nunmehr die fabrikatsspezifischen Regelungen gemeinsam mit den jeweiligen Herstellern/Importeuren überprüfen und eventuell notwendige Anpassungen vornehmen.
     
  4. Handelsvertreterverträge/Agentursysteme
    Aufgrund der aktuellen Entwicklung, wonach allein in Deutschland mehr als 20 Marken Agentursysteme für den Vertrieb ihrer Neufahrzeuge einführen werden bzw. dies bereits getan haben, sind die Ausführungen der EU-Kommission in den Leitlinien besonders relevant für den Automobilhandel.

    Gegenüber den Erläuterungen in den aktuellen Leitlinien sind die Ausführungen in den neuen Leitlinien wesentlich umfangreicher und auch klarer gefasst. Zu der Frage, wann ein echtes Agentursystem vorliegt, das nicht unter den Artikel 101 Abs. 1 des EU-Vertrages (AEUV) fällt, führt die EU-Kommission aus, dass die Voraussetzungen eng auszulegen sind. Vor diesem Hintergrund wird detailliert erklärt, dass und vor allem welche Risiken der Prinzipal (der Hersteller/Importeur) tragen muss. Bei einem echten Agenturvertrag, der nicht unter die Vertikal-GVO fällt, muss gewährleistet sein, dass der Agent praktisch keine Risiken und daraus resultierende Kosten trägt. Was das konkret bedeutet, ergibt sich aus einer nicht abschließenden Liste in Randnummer 33 der Leitlinien. Genannt werden u.a. Investitionen in bzw. Kosten für die Lagerhaltung, Transport, marktspezifische Ausrüstungen, Räumlichkeiten, Mitarbeiterschulungen bis hin zu Werbung und Verkaufsförderung.

    Sofern noch einzelne der genannten Risiken vom Agenten zu tragen sind, ist davon auszugehen, dass kein echtes Agentursystem vorliegt. Das Vertriebssystem fiele damit unter die Vertikal-GVO, was unter anderem zur Folge hätte, dass die einseitige Preisfestsetzung durch den Prinzipal einen Verstoß gegen die Kernbeschränkung des Artikel 4 Buchstabe a der neuen Vertikal-GVO darstellt.

    Bei der Beurteilung ist primär auf die tatsächlichen wirtschaftlichen Gegebenheiten abzustellen, weniger auf die rechtlichen Formulierungen.

    Weiter hat die EU-Kommission klargestellt, dass die Übernahme der Risiken und daraus resultierenden Kosten klar unterscheidbar sein muss  von der Vergütung, die der Agent für die Erbringung seiner Leistungen erhält. Dies ist ein Thema, das der ZDK über AECDR noch in den vergangenen Wochen bei der EU-Kommission eingebracht hat. Erfreulicherweise hat die Kommission die diesbezügliche Klarstellung in die Leitlinien aufgenommen.

    In diesem Zusammenhang sollten auch die Ausführungen der EU-Kommission genannt werden, wonach die Übernahme der Risiken und der daraus resultierenden Kosten durch den Prinzipal selbst dann erfolgen muss, wenn der Agent in einem bestimmten Zeitraum keine Verkäufe erzielt.

    Klarstellungen mit besonderer Relevanz für den Automobilhandel gibt es auch zu Mischsystemen, in denen Unternehmen einige Produkte als unabhängige Händler, andere Produkte dagegen als Agenten vertreiben. Hier geht es – bei der Kombination aus echtem Agentursystem und Vertragshändlersystem – erneut um die Übernahme von Risiken von daraus resultierenden Kosten durch den Prinzipal. Zudem kommt es darauf an, ob die Produkte demselben Produktmarkt zuzurechnen sind oder nicht.

    Nicht detailliert erläutert ist ein Mischsystem, in dem ein unechtes Agentursystem mit einem Vertragshändlersystem kombiniert wird. Bezogen auf die bereits bekannten Beispiele aus der automobilen Praxis dürfte die rechtssichere Umsetzung derartiger Systeme durch die Vertikal-GVO nebst den neuen Leitlinien zumindest schwieriger werden. Denn einerseits sind die Ausführungen der EU-Kommission zum zweigleisigen Vertrieb zu berücksichtigen, andererseits aber auch die Ausführungen der Leitlinien zur (eingeschränkten) Preisbestimmung durch den Prinzipal bei einem unechten Agentursystem. Hierzu werden Diskussionen zwischen Fabrikatsverbänden und den jeweiligen Herstellern/Importeuren geführt werden müssen.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die EU-Kommission hilfreiche und notwendige Klarstellungen zu Agentursystemen vorgenommen hat. Es gibt jedoch eine Reihe automobilspezifischer Aspekte, die einer weiteren Erläuterung bedürfen. Hier muss die für Ende Juni 2022 von der EU-Kommission angekündigte Konsultation zur Kfz-GVO nebst Leitlinien genutzt werden.

Antje Woltermann wird auf der kommenden Obermeister- und Delegiertenversammlung am 2. Juni 2022 in Kiel zu diesem Thema vortragen und viele Fragen beantworten.

PS: Die Leitlinien liegen noch nicht in deutscher Sprache vorliegen. Sobald dies der Fall ist, stellen wir die Texte zur Verfügung.