Unterschlagung eines Kfz während einer Probefahrt

ProMotor

Für großen Unmut, Unverständnis und Wut hat das Urteil des BGH vom 18.09.2020 (Az. V ZR 8/19) bei vielen Autohändlerngesorgt. Bei der zur Entscheidung stehenden Sachlage handelte es sich um eine äußerst selten auftretende Fallkonstellation, in der der vermeintliche Kaufinteressent dem Autohaus hochwertige Fälschungen eines italienischen Personalausweises, einer Meldebestätigung einer deutschen Stadt und einen italienischen Führerschein vorlegte und dem Erwerber außerdem gefälschte Zulassungsbescheinigungen (Teil I und II) aushändigte, die nicht nur die angeblichen Personalien des Veräußerers und die Fahrzeugidentifikationsnummer des Fahrzeuges auswiesen, sondern auch noch auf Originalvordrucken angefertigt waren, die aus einer Zulassungsstelle gestohlen worden waren.

In dem Urteil geht es letztlich um die Frage, wer auf dem finanziellen Schaden sitzen bleiben soll, wenn sich ein vermeintlicher, später womöglich nicht mehr auffindbarer Kaufinteressent unter Einsatz großer krimineller Energie über eine Probefahrt ein Fahrzeug eines Autohändlers beschafft, um es anschließend durch perfekte Täuschung eines Dritten an diesen zu veräußern. Der getäuschte Autohändler oder der getäuschte Käufer? Diese Frage hat der BGH nunmehr – zum Leidwesen der Autohändler – zugunsten des gutgläubigen Käufers entschieden.

Vom Grundsatz her dürfen Kaufinteressenten, die eine Sache erwerben wollen, davon ausgehen, dass derjenige, der die Sache in Besitz hat, auch dessen Eigentümer ist (§ 1006 BGB). Für den Fall, dass der Verkäufer der Kaufsache nicht dessen Eigentümer ist, sieht das Gesetz vor, dass der Käufer dennoch Eigentümer der Sache wird, wenn er beim Abschluss des Kaufvertrages in gutem Glauben war. Das ist dann nicht der Fall, wenn ihm bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt war, dass die Sache nicht dem Veräußerer gehört (§§ 932 ff. BGB). Von dieser Regelung macht das Gesetz allerdings eine Ausnahme: Ein gutgläubiger Erwerb ist grundsätzlich ausgeschlossen, wenn dem Eigentümer die Sache gestohlen worden, verloren gegangen oder sonst abhandengekommen ist (§ 935 BGB).

Der Ausgang des Rechtsstreits hing daher zum einen davon ab, ob die Unterschlagung eines Fahrzeugs, das einem vermeintlichen Kaufinteressenten zu Probefahrtzwecken überlassen worden ist, als „sonstiges Abhandenkommen“ zu werten ist und zum anderen von der Gutgläubigkeit des Käufers.

(1) Abhandenkommen des Fahrzeugs

Zunächst wies der BGH darauf hin, dass eine bewegliche Sache ihrem Eigentümer dann „abhandenkommt“, wenn dieser den Besitzan der Sacheunfreiwillig verliert.

Von einem Besitzverlust zu unterscheiden sind die „Besitzlockerung“ und die „Besitzdienerschaft“. Während der Eigentümer im Falle eines Besitzverlustes die tatsächliche Gewalt bzw. unmittelbare Sachherrschaft über die Sache verloren hat, übt er diese im Falle der „Besitzlockerung“ oder „Besitzdienerschaft“ weiter aus und der Besitz wird lediglich gelockert. Ein Besitzverlust kann auch durch Übertragung auf einen Dritten erfolgen. Die Übertragung bzw. der Besitzverlust ist aber nicht schon deshalb als „unfreiwillig“anzusehen, weilder vermeintliche Kaufinteressent über seine wahren Absichten getäuscht hat. Das heißt, eine Besitzaufgabe gilt nicht schon deshalb als „unfreiwillig“, weil sie durch Täuschung erlangt wurde.

Vorliegend ging der BGH davon aus, dass der Autohändler seinen Besitz an dem Fahrzeug freiwillig verloren hatte. Indem der Autohändler dem vermeintlichen Kaufinteressenten das Fahrzeug zu einer unbegleiteten Probefahrt überlassen hatte, hat er seine tatsächliche Gewalt über das Fahrzeug nicht nur gelockert („Besitzlockerung“), sondern auf den vermeintlichen Kaufinteressenten übertragen. Das führt zu einem freiwilligen Besitzverlust, da der vermeintliche Kaufinteressent nunmehr die tatsächliche Sachherrschaft über die Fahrzeugschlüssel ausübte und der Verkäufer nicht mehr in einer engen räumlichen Beziehung zu dem Fahrzeug stand. Die Sachherrschaft des vermeintlichen Kaufinteressenten konnte nach Ansicht des BGH auch nicht als nur „flüchtig“ bezeichnet werden, weil er während der Probefahrt beliebig auf das Fahrzeug einwirken konnte, während dem Autohändler schon wegen der räumlichen Distanz jede Kontrolle über das Fahrzeug fehlte.

Auch der Umstand, dass das Fahrzeug mit roten Kennzeichen versehen war, rechtfertigte nach Ansicht des BGH keine abweichende Beurteilung. Allein aus der Verwendung roter Kennzeichen, die nur durch bestimmte Berechtigte zu Prüfungs-, Probe- und Überführungsfahrten verwenden werden dürfen, könne nicht geschlossen werden, dass der jeweilige Fahrzeugführer nicht die unmittelbare Sachherrschaft über das Fahrzeug innehat und stattdessen nur eine Besitzlockerung oder eine Besitzdienerschaft vorliegt. Gerade für längere Überführungsfahrten würde durchaus auf externe Personen zurückgegriffen, denen dann auch der unmittelbare Besitz eingeräumt wird.

Gleiches gelte im Hinblick auf die erstellten Kopien der Ausweisdokumente des vermeintlichen Kaufinteressenten und die von ihm hinterlegteMobilfunknummer. Aus beiden ergebe sich keine faktische Zugriffsmöglichkeit auf das Fahrzeug während der Probefahrt.

Auch sei ein Kaufinteressent, der eine Probefahrt mit einem Fahrzeug unternimmt, nicht als Besitzdiener des Verkäufers i.S.d. § 855 BGB anzusehen. Besitzdiener ist nicht schon jeder, der Weisungen des Eigentümers der Sache zu befolgen hat, sondern nur derjenige, demgegenüber der Eigentümer die Einhaltung seiner Weisungen im Nichtbefolgungsfall auf Grund eines Direktionsrechts oder vergleichbarer Befugnisse unmittelbar selbst durchsetzen kann. Dieses Weisungsrecht muss seine Grundlage in einem Rechtsverhältnis finden, das ein nach außen erkennbares soziales Abhängigkeitsverhältnis begründet, das dem Autohändler zumindest faktisch die Möglichkeit gibt, seinen Willen gegenüber dem Besitzdiener durchzusetzen. An einem solchen sozialen Abhängigkeitsverhältnis fehlt es zwischen einem Kaufinteressenten und dem Verkäufer.

Da dem Autohändler das Fahrzeug nach Ansicht des BGH nicht abhandengekommen war, war somit ein gutgläubiger Erwerb nicht von vorneherein ausgeschlossen, sondern im vorliegenden Falle möglich.

(2) Gutgläubiger Eigentumserwerb

Sodann stellte der BGH fest, dass die spätere Käuferin beim Erwerb des Fahrzeugs gutgläubig war, weil ihr weder bekannt noch infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt war, dass das Fahrzeug nicht dem Veräußerer gehörte.

Unter grober Fahrlässigkeit wird im allgemeinen ein Handeln verstanden, bei dem die erforderliche Sorgfalt den gesamten Umständen nach in ungewöhnlich großem Maße verletzt worden ist und bei dem dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Zu den Mindesterfordernissen für einen gutgläubigen Erwerb eines gebrauchten Kraftfahrzeugs gehört es regelmäßig, dass sich der Erwerber die Zulassungsbescheinigung Teil II (Kfz-Brief) vorlegen lässt, um die Berechtigung des Veräußerers zu prüfen. Aber selbst wenn der Veräußerer im Besitz des Fahrzeugs und der ZB II ist, kann der Erwerber dennoch bösgläubig gewesen sein, wenn besondere Umstände seinen Verdacht erregen mussten und er diese unbeachtet ließ. Eine allgemeine Nachforschungspflicht des Erwerbers besteht hingegen nicht.

Vorliegend hatte sich die Käuferin des Fahrzeugs die Zulassungsbescheinigung Teil II vorlegen lassen. Dass diese gefälscht war, konnte sie nach der tatrichterlichen Würdigung des Berufungsgerichts nicht erkennen. Die Staatsanwaltschaft hatte den gefälschten Unterlagen eine hochwertige Qualität bescheinigt.

Ohne Rechtsfehler sei das Berufungsgericht zudem davon ausgegangen, dass keine besonderen Umstände vorlagen, die eine weitergehende Nachforschungspflicht der Käuferin hätten begründen können. Zwar gebietet der Straßenverkauf im Gebrauchtwagenhandel besondere Vorsicht, weil er erfahrungsgemäß das Risiko der Entdeckung eines gestohlenen Fahrzeugs mindert. Ein Straßenverkauf als solcher führt aber noch nicht zu weitergehenden Nachforschungspflichten, wenn er sich für den Erwerber – wie vorliegend – als nicht weiter auffällig darstellt.

(3) Herausgabeansprüche des gutgläubigen Erwerbers

Da die Käuferin das Fahrzeug gutgläubig erworben hatte, stand ihr als (neuer) Fahrzeugeigentümerin ein Anspruch auf Herausgabe der Original-Zulassungsbescheinigungen gegenüber dem Autohändler zu. Das Eigentum an den Fahrzeugpapieren folgt dem Eigentum an dem Fahrzeug (§ 952 BGB analog). Nach dem Verlust des Eigentums an diesen Papieren stand dem Autohändler ein Recht zu deren Besitz nicht mehr zu (§ 986 BGB).

Demgegenüber hat die Käuferin keinen Anspruch auf Herausgabe des Zweitschlüssels, weil das Eigentum an einem Fahrzeugschlüssel nicht dem Eigentum an dem Fahrzeug selbst folgt. Der Schlüssel ist nur Zubehör (§ 97 BGB) - nicht aber Bestandteil (§ 93 BGB) - des Fahrzeugs und kann daher Gegenstand von Sonderrechten sein. Außerdem konnte die Käuferin das Eigentum am Zweitschlüssel mangels Übergabe auch nicht gutgläubig erwerben.

Fazit

  1. Ein gutgläubiger Erwerb ist grundsätzlich ausgeschlossen, wenn dem Eigentümer die Sache gestohlen worden, verloren gegangen oder sonst abhandengekommen ist.
  2. Ein Fahrzeug kommt dem Eigentümer dann abhanden, wenn der Eigentümer den Besitz an der Sache unfreiwillig verliert. Ein Besitzverlust gilt aber nicht schon deshalb als „unfreiwillig“, weil er durch Täuschung erlangt wurde.
  3. Überlässt ein Autohändler einem vermeintlichen Kaufinteressenten ein Fahrzeug samt Schlüssel zu einer unbegleiteten Probefahrt, überträgt er diesem die tatsächliche Sachherrschaft über das Fahrzeug und gibt seinen Besitz freiwillig auf. Wird das Fahrzeug nicht zurückgebracht, kann ein Dritter dieses rechtmäßig erwerben, sofern er gutgläubig ist.
  4. Das Erstellen von Kopien der Ausweisdokumente und die Angabe einer Mobilfunknummer des vermeintlichen Kaufinteressenten verhindern weder einen Besitzverlust des Autohändlers noch schützen sie ihn vor einem gutgläubigen Erwerb des unterschlagenen Fahrzeugs durch einen Dritten.
  5. Ein gutgläubiger Erwerb setzt voraus, dass dem Käufer beim Erwerb des Fahrzeugs weder bekannt noch infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt war, dass das Fahrzeug nicht dem Veräußerer gehörte. Beim Erwerb eines gebrauchten Kraftfahrzeugs muss sich der Erwerber daher regelmäßig die ZB II vorlegen lassen, um die Berechtigung des Veräußerers zu überprüfen.
  6. Selbst wenn der Veräußerer im Besitz des Fahrzeugs, eines Schlüssels und der ZB II ist, kann der Erwerber bösgläubig gewesen sein, wenn besondere Umstände seinen Verdacht erregen mussten und er diese unbeachtet ließ. Eine allgemeine Nachforschungspflicht des Erwerbers besteht allerdings nicht. Das gilt auch im Falle eines Straßenverkaufs, sofern er sich für den Erwerber als nicht weiter auffällig darstellt.
  7. Erwirbt ein Dritter gutgläubig Eigentum an einem unterschlagenen Fahrzeug steht dem Händler kein Herausgabeanspruch gegen den Erwerber zu. Stattdessen kann der Erwerber vom Autohändler die Original-Zulassungsbescheinigungen herausverlangen, die Zweitschlüssel hingegen nicht.
  8. Schadensersatzansprüche kann der Händler nur gegenüber dem vermeintlichen Kaufinteressenten geltend machen (vorausgesetzt dieser ist greifbar und zahlungsfähig) und, sofern das Fahrzeug gegen Unterschlagung versichert war, gegenüber der Versicherung.
  9. Schutz vor einem rechtmäßigen Weiterverkauf eines anlässlich einer Probefahrt unterschlagenen Fahrzeugs bieten:
    •      das begleitete Fahren (hier gilt es mögliche Gefahren für die Begleitperson – auch im Hinblick auf die Corona-Pandemie – abzuwägen)
    •      das (temporäre) Tracking des Fahrzeugs (auf das der Kaufinteressent aus Datenschutzgründen hinzuweisen ist)

 

Anmerkungen des Verbandes und Stellungnahme des Versicherers Nürnberger:

Der Landesverband weiß, dass dieses Urteil in der Branche hohe Wellen geschlagen hat. Es ist allerdings zunächst festzustellen, dass das Urteil auf der Grundlage jahrzehntealter Rechtsvorschriften ergangen ist und auch keine neue Rechtsprechung darstellt. In dieser Weise wäre auch in der Vergangenheit bereits entschieden worden, wenn ein vergleichbarer Fall zu entscheiden gewesen wäre.

Uns hat sich die Frage gestellt, wie häufig der Fall vorkommt, dass ein Fahrzeug nach der Probefahrt nicht mehr zurückgebracht wird. Wir wollten von unseren Mitgliedern wissen, welche persönlichen Erfahrungen sie in diesen Fällen gemacht haben.

Wir haben einige Rückmeldungen erhalten und danken auf diesem Weg allen, die sich bei uns gemeldet haben.

Danach ist die Anzahl der Unterschlagungen von Fahrzeugen nach einer Probefahrt eher übersichtlich. Zum Glück konnten in der Vergangenheit auch einige Fälle durch aufmerksame Mitarbeiter von Beginn an vereitelt werden. Nach den uns vorliegenden Informationen ist in den Fällen auch die Versicherung zur Stelle gewesen und ist für den Schaden eingestanden.

Wir haben diesbezüglich auch bei der Nürnberger nachgefragt und die Auskunft erhalten, dass sie bereits auf das Urteil reagiert hat. Die neuen Versicherungsbedingungen zur Garanta Spezial-Schutz für Kfz-Betriebe sind angepasst worden, so dass auch diese Fälle zukünftig definitiv abgesichert sind.

Wir können nur jedem empfehlen, seine Versicherungsbedingungen darauf zu prüfen und ggf. mit seiner Versicherung Rücksprache zu halten.