Wenn sich die Radmuttern lösen

Was die Gerichte und die Technik dazu sagen

Die Horrorvision eines jeden Autofahrers: Bei voller Fahrt lösen sich Radmuttern, und es kommt zum Crash. Dasselbe Horror-Szenario auch für den Kfz-Betrieb, der beim verunfallten Fahrzeug erst kürzlich einen Räderwechsel durchgeführt hat. Das ist der Grund, warum viele Werkstätten auf die Rechnung für den Radtausch den Hinweis drucken, dass nach fünfzig Kilometern die Muttern nachkontrolliert werden sollten. Haben also Kunden eine Mitschuld, wenn sie dies ignorieren, und es im Anschluss zu einem Unfall kommt?

Mit dieser Frage beschäftigten sich bereits eine Reihe von Gerichten, viele Gutachter, der Zentralverband Deutsches Kfz-Gewerbe (ZDK) als Vertreter der bundesdeutschen Meisterbetriebe, Reifenhersteller und auch die Behörde, bei der es für Verkehrsdelikte Punkte gibt: das Kraftfahrtbundesamt (KBA) in Flensburg. Bringt man alle Antworten zur Frage nach der Verantwortung zusammen, dann zeigt sich, wie komplex das Ganze ist und dass es auf die Frage nach der Verantwortung nicht die eine Antwort gibt.

Das Oberlandesgericht (OLG) München verhandelte kürzlich einen Fall, in dem der Halter eines getunten Mercedes seine Werkstatt verklagte, weil er rund 100 Kilometer nach einem Räderwechsel auf der Autobahn sein linkes Hinterrad verlor. In der ersten Instanz vor dem Landgericht (LG) München sollte der Autobesitzer dreißig Prozent des Gesamtschadens selbst tragen. Dies begründete das LG damit, dass der Halter nach dem Räderwechsel sowohl mündlich als auch schriftlich – durch einen Vermerk auf der Rechnung – von Seiten seiner Werkstatt darauf hingewiesen wurde, seine Radmuttern nach einer Strecke von 50 Kilometern selbst noch einmal nachzuziehen oder nachziehen zu lassen, was er aber nicht tat.

Gericht sah keine Verantwortung beim Kunden

Gegen dieses Urteil legte der Halter Beschwerde vor dem OLG ein. Nun wurde er von jeder Teilschuld freigesprochen. Interessant dabei: In der Begründung berief sich das Gericht auf ein Sachverständigen-Gutachten, das schon dem Landgericht, also der ersten Instanz vorgelegen hatte. Darin hieß es, „dass bei ordnungsgemäß angezogenen Schrauben ein Nachjustieren weder erforderlich noch vorgeschrieben“ sei. Aus diesem Grund sei sowohl beim Kunden als auch auf Seiten der Werkstatt keine Notwendigkeit gegeben, nach der kurzen Strecke von fünfzig Kilometern noch einmal die Radmuttern nachzuziehen.   

Das Oberlandesgericht wertete die von der Werkstatt gegebene Empfehlung für ein nochmaliges Kontrollieren der Radmuttern als ein Abschieben von Verantwortung. Damit werde der Kunde zur Vermeidung eines Mitverschuldens gezwungen, „die Ordnungsmäßigkeit der Werkleistung (nach der Abnahme) nochmals zu überprüfen und gegebenenfalls selbst tätig zu werden, um die mangelhafte Werkleistung des Unternehmers nachzubessern“. An Kunden dürfe nicht delegiert werden, ob eine vom Fachpersonal vorgenommene Arbeit erfolgreich gewesen sei oder nicht. Das erscheint sehr logisch. Was für ein Service wäre das, wenn Auftraggeber:innen nach jeder Dienstleistung ihrer Werkstatt erst einmal selbst kontrollieren müssten, ob da auch wirklich alles korrekt gelaufen ist? Und bei Unterlassung müssten Kundinnen und Kunden damit rechnen, im Falle einer gerichtlichen Auseinandersetzung eine Teilschuld zu bekommen, weil sie eben nicht die Radmuttern noch mal kontrollierten!

Ignorieren hilft nicht

Ist damit der Kunde also von aller Verantwortung beim Thema Radmuttern frei? Nein, so klar liegen die Dinge nicht. Zuerst einmal betont das OLG München, dass es sich bei seinem Urteil um eine Einzelfallentscheidung handele. Andere Gerichte können also durchaus zu anderen Einschätzungen gelangen, und sie sind es auch schon. Und noch ein Passus in der schriftlichen Fassung des Urteil ist von Bedeutung. Ein „vernünftiger Mensch“ würde „ohne konkrete Anhaltspunkte für eine nicht fachgerechte Montage“ auch nicht an der fachgerechten Durchführung des Reifenwechsels durch die Werkstatt zweifeln. „Konkrete Anhaltspunkte“ – was das sein könnte, wird nicht weiter ausgeführt, aber wenn merkwürdige Geräusche auftreten, das Fahrzeug ein ungewöhnliches Fahrverhalten zeigt, dann handelt es sich um Hinweise, dass etwas nicht stimmt und sofortiges Handeln der Fahrerin oder des Fahrers ist unbedingt angezeigt.

Ein Ignorieren von Merkwürdigkeiten kann zu einer Teilschuld führen, selbst wenn die Werkstatt für den Fehler verantwortlich war. Darauf macht die Rechtsabteilung des ZDK (Zentralverband Deutsches Kfz-Gewerbe) aufmerksam und verweist auf ein Urteil des Landgerichts Heidelberg aus dem Jahr 2012, in dem einem Autofahrer Mitschuld an einem Schadensfall gegeben wurde, weil er die ungewöhnlichen Geräusche am Rad seines Fahrzeugs ignorierte. Juristisch gesehen macht es also für beide Parteien Sinn, auf die Festigkeit der Radmuttern zu achten. Es ist aber auch aus technischer Sicht wohlbegründet: Sowohl die europäischen Räderhersteller, als auch das Kraftfahrtbundesamt (KBA) in Flensburg weisen darauf hin, dass es zu einem sogenannten Setzverhalten kommen kann.

Jan-Nikolas Sontag, Geschäftsführer des Landesverbandes des Kfz-Gewerbes Schleswig-Holstein, erklärt den Grund: „Die Schrauben werden durch das Fahren Belastungen ausgesetzt und können – obwohl fachgerecht befestigt – in seltenen Fällen ihr Anzugsmoment verlieren. Da hilft nur das Nachziehen der Schrauben.“ Aus diesem Grund gibt es für Sontag nur ein richtiges Verhalten nach dem Räderwechsel: „Wie so oft gilt: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Bei voller Fahrt ein Rad zu verlieren, ist ein Horror-Szenario für alle Beteiligten, für Werkstätten und ihre Kundinnen und Kunden. Das sollte mit allen Mitteln verhindert werden. Entweder ich kontrolliere das selbst nach oder – besser noch – ich fahre noch mal kurz bei meinem Meisterbetrieb vorbei und lasse die Kontrolle durch das Fachpersonal vornehmen. Dann wird es keine bösen Überraschungen geben!“

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